Der Maître bringt ein Holzbrett, mehrere Teller und Silberbesteck auf die Terrasse des Söl’ring Hofes direkt hinter der Düne. Ich sitze im Strandkorb, warte und lasse mir die Sylter Sonne ins Gesicht scheinen. Heute habe ich mich mit Johannes King auf eine Wurst verabredet. Der vom Gaul Michelin mit zwei Sternen ausgezeichnete Koch ist, nachdem er sich durch verschiedene Sterneküchen in Berlin und Köln gekocht hat, auf Sylt heimisch geworden und ist dort heute Gastgeber im 5-Sterne-Hotel hinter den Dünen. Seine Küche ist bekannt für ihre Regionalität, Saisonalität und die Natürlichkeit der Produkte.
„Ah, eine Wurstdegustation“, vermutet Johannes King, nachdem er mich mit einem kräftigen Händedruck begrüßt hat. „Nein“, sage ich mit einem Lächeln, „wir essen jetzt ne Worscht zusammen“. Wir beide lachen.
Mir geht es heute um sein Kopfkino, das in Gang gesetzt wird, wenn wir die Ahle Wurscht zusammen essen, erkläre ich und erinnere ihn an die Einleitung seines großen Kochbuches: „Der gute Geschmack aber ruft Verlangen hervor und versinnlicht die Geschmacksempfindungen, lässt neue Welten entdecken und setzt das kleine Kopfkino in Bewegung.“
„Das Thema ist ja so umspannend“, sagt er, „…gerade wird viel Bohai um dieses Regionale gemacht.“ Seiner Meinung nach wird das ganze Thema ein wenig überschätzt. „Nicht alles, was früher gemacht wurde, ist automatisch gut“, meint er, „…da war auch viel Schrott dabei. Man muss da differenzieren.“ Im Moment bleibt für King vor allem der Qualitätsanspruch auf der Strecke. „Was muss es mindestens sein, damit es nicht nur ein traditionelles Produkt ist, sondern auch eines, bei dem die Qualität stimmt?“
Er ist gespannt, wer hinter der Wurscht steckt, die vor uns auf dem Tisch liegt und wie gut die Grundprodukte waren, aus dem die Wurst entstanden ist.
Bei den Kings zuhause im Schwarzwald wurde früher zweimal im Jahr geschlachtet, erzählt er. Den speckigen Schinken musste „der kleine Johannes“ früher selbst im Küchenkamin aufhängen, so erinnert er sich in seinem Kochbuch, weil er der einzige war „der in den engen Schlot passte“.
„Ich komme vom Bauernhof und wir waren wirklich Selbstversorger,“ stellt King stolz fest, „…und mein Vater hat heute, mit 78, noch immer Bienen. Für mich und meine Geschwister ist das jedes Mal Weihnachten und Geburtstag an einem Tag, wenn wir unsere jährliche Honigration bekommen. Mal sind es 6 Gläser mal sind es 40 Kilo. Egal wie viel wir kriegen, es ist immer zu wenig. Ich habe noch nie Honig gekauft.“
Er erinnert sich schmerzhaft an die mühevolle Ernte des Honigs, bei der er regelmäßig gestochen wurde. „Es war ein Horror…und trotzdem weiß ich, wie es riecht – ich weiß, wie es aussieht und wie es schmeckt. Meine Kinder kennen das alles nicht. Die waren beim Schlachten nicht dabei, die waren beim Mosten nicht dabei.“ Sie haben nicht wie er im Alter von 8 Jahren Hasen großgezogen und selbst geschlachtet, sagt er. „Schnitzel? Ja! Aber diese niedlichen kleinen Dinger“, er ahmt eines seiner Kinder nach, „oh nein, die sind so süß.“
„Man muss die Kinder da ranführen, irgendwie, damit sie ein Verständnis dafür entwickeln.“, meint er. Für ihn war es Normalität – für die Kinder, die in der Großstadt Berlin aufwuchsen, muss dieses Gefühl erst geweckt werden. Nachdenklich fragt er sich wohin das Ganze wohl gehen wird.
Das größte Problem sieht er darin, dass das einfache Wissen, was man aus den Produkten machen kann, verloren geht. „Heute gibt es industriell vorgegebene Geschmacksmuster, nach denen alles gleich schmeckt“, meint King. „Das ist ein schwieriger Punkt.“
Seiner Meinung nach kann jeder nur versuchen, sich seine eigenen Quellen zu sichern. Seit mehreren Jahren setzt er in seiner Küche auf Sylt auf stärkere Kontakte zu Produzenten vor Ort. Er will wissen, wie sie ticken – er will wissen, was diejenigen machen, die ihn mit den Zutaten für seine Menüs versorgen und er will wissen, wie gut sie es machen.
Ich frage, was seine Gäste von ihm erwarten. Was ist ihnen wichtig? Fragen sie nach der Herkunft der Zutaten? Interessiert sie die Mühe, die er und sein Team sich jeden Tag machen um diese Qualität bieten zu können?
Seinen Gästen geht es um die Ehrlichkeit der Produkte, erklärt er. Sie erwarten, dass sie sich zu 100% darauf verlassen können, das man ihnen hier zu 100% die beste Qualität vorsetzt. Natürlich gibt es auch Gäste, die darüber nicht nachdenken, weiß King. Dennoch muss jeder Gast auf dem Teller merken, dass es hier deutlich besser ist als woanders. „Auf dem Teller muss es der Gast spüren: Es sieht besser aus, es schmeckt besser. …für das eigene Ego brauche ich das alles nicht zu tun.“, antwortet mir King.
„In der Küche müssen Sie gedanklich einen Setzkasten haben, bei dem möglichst viele Kästchen mit guten Dingen bestückt sind, dann kann man die Register ziehen und relativ leicht etwas Gutes daraus machen. – Weniger ist dann auch mehr.“ Diese einfache Regel bekommen auch seine Kochkursteilnehmer zu hören, wenn sie nach dem Weg zu einem guten Gericht fragen.
Ich frage Johannes King, ob er meine Befürchtung teilt, dass diese „guten Dinge“ und das Wissen darum, wenn sich nichts ändert, bald nur noch einer kleinen Elite zugänglich sein werden und für Viele unerreichbar sein wird.
„Es wird immer Menschen geben, die sich darum kümmern und die Genuss für wichtig halten“, antwortet er mir. Das hat für ihn mit einer gesunden Einstellung zu dem Thema zu tun, weniger mit Elitentum. Für King ist es auch eine Frage, wie man mit seinem Körper umgeht und welches Gewissen man hat.
Er hat sehr viel Verständnis für die Positionen von Vegetariern, auch wenn er selbst keiner werden möchte. King sieht sie als Herausforderung für die eigene Küche. Dennoch schätzt er ein gutes Stück Fleisch oder Fisch, von dem er weiß, woher es kommt und wie es aufgewachsen ist.
Johannes King schneidet nun grobe Stücke von der Stracke Ahle Wurscht ab, die vor uns auf einem Holzbrett liegt. Wir beide puhlen die Haut von den groben Scheiben. „Ich mag ja dünne Scheiben nicht.“, sagt er.
„Ungewöhnlich saftig – nicht schmierig,“ kommentiert er den Geschmack der Wurstspezialität aus Nordhessen. Andere Würste dieser Art werden schnell fettschmierig, wenn sie schlecht gemacht sind, erklärt er. Doch die Ahle Wurscht, von der wir gerade essen, gefällt ihm. „Die ist lecker!“
„Ich komme ja aus einer Wurschtecke“, stellt King daraufhin fest. „Im Schwabenland ist die schwäbische Bratwurst nach den Maultaschen eine der bekanntesten Spezialitäten.“ „Diese Bratwurst ist eine Brätwurst“, erklärt er. Sie wird dort gekocht oder roh gebraten serviert. „Diese Bratwurst ist für mich zusammen mit Scheufele, Sauerkraut und Kesselfleisch der Inbegriff fürs Schwäbische“. Er hat früher immer die Bratwurst gegessen.
Jahre später hat er sich zurückbesonnen und sich fragen müssen: „Was haben die da wohl reingemacht?“ King erinnert sich an eine Schweinpatenschaft, die er mit Freunden vor einiger Zeit übernommen hatte. Als Patenonkel sollte er dieses nach der Mast zu einem genussvollen „todsicheren Ende“ führen.
Als sie morgens um sechs Uhr zum Hausschlachtetermin bei dem Dorfmetzger antraten und dieser die Bratwurstgewürze ausgepackte, traf King der Schlag. „..obwohl ich eigentlich vorbereitet gewesen sein sollte“, denkt er heute.
„Es gibt heute ein (industriell hergestelltes) Bratwurstgewürz, das heißt „schwäbisches Bratwurstgewürz. Wenn sie da einen Metzger fragen, was da drin ist, kommt der neben Pfeffer und Salz vielleicht noch auf ein oder zwei Zutaten.“ Viele wissen überhaupt nicht mehr, woraus diese Gewürzmischung eigentlich besteht. „Hauptsache ist, dass es immer gleich schmeckt.“, weiß King.
So ergeht es vielen Spezialitäten. „Irgendwann, wenn das Ganze tonnenweise produziert werden muss, interessiert es keinen mehr, ob der Majoran frisch da rein gehört oder ob er vorher eventuell mit Pestiziden behandelt worden ist.“
Im Falle seiner Schweinepatenschaft hat er sich gesagt: „Das passiert uns nicht noch mal.“ Ein Jahr später hatten er und seine Freunde ihre eigenen frischen Kräuter dabei, auch gebrühten Knoblauch und Thymian, „alles in kleinen Gläsern“. Keine Fertigprodukte mehr. „Doch sobald sie mit frischen Kräutern anfangen, wird die Wurst grau,“ berichtet King von den Schwierigkeiten der natürliche Wurstherstellung. „Gerade wenn man auf Nitritpökelsalz verzichten will.“ (ein Mittel das viele Metzger zum schnellen Umröten von Wurst verwenden). Johannes King kennt viele Metzger, die sich schlicht nicht trauen umzustellen und unnötige Chemie aus der Wurst herauszulassen. „Das musst du jedem deiner Kunden erklären! – Es ist ein schwieriger Weg.“ Bei diesem heiklen Thema muss er deswegen manchmal auch zurückstecken und die Argumente der Metzger akzeptieren.
Dennoch ist für ihn alles, was in Massen produziert wird und über den Preis verkauft wird, eigentlich ein Garantieschein dafür, dass es nichts Gutes sein kann. „Es ist sonst soviel Individualität in einem Produkt enthalten,“ weiß er, „dass es nur in begrenzter Anzahl da sein kann.“
„Wir versuchen hier auf Sylt die Qualität ständig zu steigern, um den Gästen weiterhin ehrliche Speisen servieren zu können,“ betont King am Ende unseres Gespräches den Anspruch seines Restaurants im Söl’ring Hof.
Schon lange kommt der Fisch täglich frisch vom eigenen Fischerboot in die Restaurantküche und eine Bedienstete ist nur damit beschäftigt, frische Kräuter auf den Wiesen der Insel zu finden und mit der Schere zu ernten.
Seit einigen Monaten hat King sogar seinen eigenen Bauernhof auf Sylt, berichtet er stolz. „…was man eigentlich gar nicht haben kann“, meint er. Das ist nachvollziehbar, wenn man die explodierenden Immobilienpreise und die mittlerweile rar gewordenen Flächen auf Sylt kennt. Im alten Bauerngarten des gepachteten Hofes wachsen sogar noch alte Spargelpflanzen, die auch nach über 60 Jahren immer noch abgeerntet werden können, erzählt er begeistert.
Nachdem wir uns verabschiedet haben, trägt Johannes King den Rest der Ahlen Wurscht in die Küche des Söl’ring Hofes, um seine Angestellten davon kosten zu lassen. Hier wird gleich die Arbeit beginnen, um den Setzkasten mit guten Dingen zu füllen, aus dem King am Abend die Gäste hinter den Dünen verwöhnen wird.
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